Wie wir ja auf Google+ geschrieben haben, waren ich und mein Freund auf dem jährlichen Hackertreffen in Hamburg. Dem 29C3.
Nun da ich zurück bin,
vom Chaos Communication Congress würde ich gerne ein kleines Résumé
ziehen und euch einen kleinen Einblick darüber geben, wie ich (eine
Autistin) den Kongress gesehen habe.
Erst einmal möchte ich mich für diese gelungenen 4 Tage ganz herzlich beim kompletten Orgateam und allen Mitwirkenden bedanken. Es waren die tollsten 4 Tage die ich seit langen hatte.
Erst einmal möchte ich mich für diese gelungenen 4 Tage ganz herzlich beim kompletten Orgateam und allen Mitwirkenden bedanken. Es waren die tollsten 4 Tage die ich seit langen hatte.
Jetzt
aber zu meiner kleinen Berichterstattung:
Schon ein paar Tage vor
dem Congress zeichnete es sich ab, dass ich doch ganz große Angst
hatte mich nicht gut mitteilen zu können und meine sehr niedrigen
Grenzen nicht deutlich genug machen zu können.
Daher musste ich mich mit
meinem Freund darüber unterhalten.
Ich erklärte ihm, ich
hätte große Angst, dass mir jemand bei den Unterhaltungen die Hand
geben würde, oder aber mein komisches Verhalten falsch verstehen
könnte.
Da ich in
Stress-Situationen leider manchmal völlig überfordert reagiere,
musste eine Lösung her bei der ich nicht gezwungenermaßen
kommunizieren musste und trotzdem wild fremde Menschen mein Anliegen
verstanden.
Und dies möglichst ohne
das mein Partner ständig mich erklären muss.
Der rettende Einfall kam dann von meinem Freund.
Der rettende Einfall kam dann von meinem Freund.
Er entwarf mir ein T-shirt
mit der Aufschrift
Beware!
Autistic Savant!
Darunter waren drei
Fortschrittsbalken zu sehen:
Visual Memory: 500%
Ram: 300%
Socialcompetence:
3,14159265% (die zahl Pi)
Unter diesen
Fortschrittsbalken war das User Manual (Bedienungsanleitung) zu lesen
:
Show me, talk to me, bear
with me,
but please:
Don't Touch!
Was soviel bedeutet wie:
„Zeigs mir, sprich mit mir, hab Geduld mit mir, aber bitte nicht
anfassen!“
Natürlich war ich ganz
aufgeregt, bis das T-shirt bei uns ankam.
Der Druck war besser
geworden wie ich es erwartet hatte und irgendwie fand ich die Idee
super gut.
Ich hätte meinen
(Gen)Defekt natürlich auch versuchen können zu verbergen, was aber
in solchen Situationen meistens eh nicht funktioniert.
So haben die Leute
wenigstens einen kleinen Hinweis, warum ich so „komisch“ bin und
reagieren vielleicht etwas verständnisvoller.
Ich hatte sehr viel Angst
vor den Reaktionen der Leute auf mein T-Shirt, gerade auch weil es so
eine kurze Zeit nach dem Amoklauf in den USA stattfand.
Aber auf der anderen Seite
dachte ich, wenn ein paar Leute ein anderes Bild von einer Autistin
zu sehen kriegen, wäre das auch eine Art Versuch der Aufklärung.
Wie
waren nun also die Reaktionen auf mein T-Shirt und
meine Person:
Ich muss sagen die Hacker Community hat viel besser reagiert wie ich es mir je erhofft hatte (vielen lieben Dank dafür).
Ich muss sagen die Hacker Community hat viel besser reagiert wie ich es mir je erhofft hatte (vielen lieben Dank dafür).
Gleich
am Eingang kam mein Shirt sofort zum Einsatz. Nach dem wir die
Bändchen für den Eintritt
bekommen hatten, stand ein
paar Meter
weiter ein junger Mann, der
mir beim verschließen helfen wollte. Da
ich sehr aufgeregt war, konnte ich mich auch in diesem Moment nicht
mitteilen, dass ich nicht
Angefasst werden möchte. Doch
da kam mir mein T-Shirt das
erste mal zur Hilfe.
Ich
zeigte einfach mit meinem Finger darauf und sofort lächelte der
Junge und nahm seine Hände hoch als wollte er sich ergeben. Also
durfte ich mein Bändchen mit so einer komischen Presse
selber zu machen. (das empfand ich als super nett, und auch hier für
einen riesen Dank).
Der Overload der dann kam,
durch die vielen vielen tollen Einblicke, war nicht gerade klein.
Zeitweise wusste ich nicht mal mehr wo ich gerade war, noch was ich
gerade dort zu tun hatte.
Ich hatte komplett die
Orientierung verloren und das sprechen klappte schon einmal gar nicht
mehr. Aber dennoch war alles so faszinierend und super das ich
einfach weiter da bleiben wollte. Mein Freund zog mich dann erst
einmal wieder hinaus um mir ein wenig Pause zu verschaffen.
Schon auf dem Weg zur
Raucherpause bemerkte ich, wie viele Leute, an denen ich vorbei ging,
mich,bzw das Shirt, anschauten.
Irgendwie wollte wohl
jeder wissen was darauf zu lesen war. Manche lächelten, manche
lachten, und wieder andere kamen sogar auf uns zu und fragten ob mein
T-Shirt dem Realleben entsprechen würde.
Beim Rauchen begegnete mir
dann ein Mädchen die sehr interessiert mein Shirt las und mir dann
gleich ein Paar Karten in die Hand drückte, zur besseren
Verständigung.
Eine Grüne für gutes
Verhalten: einzusetzen wenn mir einer besonders gut half.
Sowie eine Gelbe und eine
Rote, wenn das Verhalten meines Gegenübers nicht so prickelnd war.
Ich bedankte mich dafür.
Mir war aber sofort klar, dass ich nur die Grüne jemals einsetzen
würde. Ich fand das Kommunizieren über eine Karte, gerade für
mich, keine schlechte Idee.
Was mir im weiterem Ablauf
des Tages und des Kongresses auffiel war, dass ich egal mit wem wir
auch immer ins Gespräch kamen, ich mich nicht vor Händedrücken und
Verabschiedungen drücken musste.
Die Leute taten es einfach
nicht. Niemand begrüßte mich mit Handschlag oder verabschiedete
sich so (danke dafür).
Das Don't Touch zeigte
anscheinend Wirkung.
So wenig wie auf diesem
Kongress, ist mir noch nie eine Hand entgegen gestreckt worden. Das
nahm ein wenig den Stress raus und sorgte dafür das es für mich ein
wenig erträglicher wurde.
Ganz nette Leute traf ich
dann auch beim Stand der Digitalcourage, die mir nach einer
Fragestellung sogar das Suchen nach einer fachkundigen
Ansprechpartnerin abnahmen und durch das ganze Kongressgebäude
liefen um meine Frage beantworten zu können. Auch hierfür ein
riesiges Dankschön.
Am zweiten Tag lief alles etwas besser und ich verlief mich auch nicht mehr ganz so oft. Ich traute mich sogar ein- zweimal ohne Begleitung in eine Vorlesung hinein und versuchte etwas mutiger zu werden. Ich sprach zwar keinen an, dafür sprach mich jemand an.
Am zweiten Tag lief alles etwas besser und ich verlief mich auch nicht mehr ganz so oft. Ich traute mich sogar ein- zweimal ohne Begleitung in eine Vorlesung hinein und versuchte etwas mutiger zu werden. Ich sprach zwar keinen an, dafür sprach mich jemand an.
Nach der Vorlesung kam ein
Junger Mensch zu mir und fragte mich wo ich das Shirt her hätte, er
fände das gut und wollte sich auch eines bestellen, leider musste
ich ihm sagen das es ein eigenes Design war und das es das T-Shirt
nicht öffentlich zum kaufen gibt. ( I`m sorry dafür.)
Da das T-Shirt so gut
wirkte, gab es mir eine Art Sicherheit was dazu führte, dass ich
bereits am dritten Tag ziemlich frei von Overloads über den Kongress
laufen konnte.
Verlaufen tat ich mich
zwar immer noch, aber angesichts dieser verwirrenden Größe war das
auch nicht verwunderlich.
Alles in Allem, waren es
vier super Tage.
Klasse Leute und ein
allerherzlichstes Dankeschön an alle Hacker die mich so nahmen wie
ich bin. Respekt denn das schaffen die wenigsten Leute in meiner
Umgebung zu Hause.
Und einen lieben Gruß
und Respekt an alle Helfer die so einen riesigen Kongress erst
möglich machen
Sam
Becker
Update:
Hier noch ein Link zu dem Blog von "neuberlinern" die dort die Funktion der sogenannten Creeper-Cards näher erklärt.
Lesenswert
http://neuberlinerin.wordpress.com/
Wow, super Bericht.
AntwortenLöschenDas T-Shirt ist eine tolle Idee. Schön, dass es so hilfreich war.
Jo, ich glaube, ich würde es mir nicht trauen, so offensiv meinen Autismus quasi vor mir herzutragen, auch wenn ich mit Klarnamen drüber twittere, ist das doch noch was anderes als in der Öffentlichkeit mit so einem T-Shirt herumzulaufen (auch wenn es optisch wirklich schick rüberkommt).
LöschenSchön übrigens auch, dass es nun einen weiteren Autismus - Blog zu geben scheint. ;-)
Uh, habe ich jetzt etwa nen ccount auf blogger? Uhm....
Gruss, Stefan (@kiezkickerde)
Hallo kiezkickerde. Das glaube ich Dir gerne. Das ist sicher auch nicht leicht. Ich bin da auch unglaublich stolz auf mein Frauchen, dass sie das gemacht hat.
LöschenMan muss allerdings auch fairerweise sagen, dass die Hackercommunity unglaublich tolerant ist. Auch wenn es im Vorfeld und auch auf dem Kongress einige Diskussionen über Diskriminierungen (speziell von Frauen gab). Die sind in der Praxis aber eigentlich nicht vorhanden. Das wurde von einigen Feminismus-Trolls ziemlich gehypt. Meine Frau und ich sind nun wirklich gegen jede Form der Diskriminierung, aber das was da diskutiert wurde war absolut lächerlich.
Wir hatten dort ein sogenanntes anti-herassment Team, dass in solchen Fällen einschreiten sollte.
Deren Résumé: 20 anrufe wegen blöder sprüche, 1 verwarnung und 1 rauswurf (und das war ein neonazi).
Wenn man bedenkt dass dort fas 7000 leute waren, spricht das wohl eine eindeutige Sprache.
Von daher kann ich nur sagen, Autisten dürfen sich auf diesem Kongress wirklich wohlfühlen. Auch wenn der sensorische Overload natürlich heftig ist.
Gruß
Bayleak
vielen lieben dank für diesen netten Kommentar.
AntwortenLöschenDie Wahrscheinlichkeit dass Dir Nerds die Hand schuetteln wollen ist eh gering ;)
AntwortenLöschenCool! Mich freut, dass es so gut geklappt hat und dass mein Bild von der netten Community weiter gestärkt wurde. Das T-Shirt ist super. Würde mich freuen, dich auf den kommenden Events wieder zu sehen. Ich habe deinen Blogpost direkt mal an Leute geschickt, die ähnliche Situationen kennen.
AntwortenLöschenGruß, Enno Lenze
Natürlich hat es bei ihm gut geklappt. Er ist ja auch ein weißer Mann. Möglicherweise sogar heterosexuell.
LöschenOb die Situation akzeptabel ist, entscheiden andere. Nämlich nicht-weiße, nicht-männliche, nicht-heteronormative, nicht-Nichtbehinderte Menschen.
Die schiere Arroganz, die Du da in den vier Sätzen rausgehauen hast, ist schon atemberaubend.
LöschenOb die Situation akzeptabel ist, entscheiden diejenigen die dort waren. Zum Beispiel Sam, die genau das in ihrem Blogartikel, unter dem Du gerade kommentierst, getan hat. Leider passt ihr Urteil wohl nicht in Dein Weltbild, sonst müsstest Du es nicht ignorieren.
Der Gedanke, dass Du Sam mit deinem Kommentar die gleiche Missachtung entgegenbringst, die Du Enno, und vermutlich jedem männlichen, weißen heterosexuellen Wesen unterstellst, ist Dir vermutlich beim verschriftlichen Deiner wohlfeilen Empörung nicht gekommen, oder?
Ich finde ja die Sache mit dem T-Shirt großartig! Nerds neigen ja dazu per T-Shirt-Spruch zu kommunizieren. Meisten um eine Meinung oder eine Präferenz für eine bestimmte Software zum Ausdruck zu bringen.
AntwortenLöschenDas Konzept eine Art "Nerd-Manual" draufzupacken, ist sicher noch ausbaufähig. Wirklich toll.