Dienstag, 5. Februar 2013

Autismus und die Presse: Was mich nervt...

Heute kommt mal ein Kommentar von mir (Frank) zu einem Thema, dass mir schon länger unter den Nägeln brennt.

In letzter Zeit sind mir ein paar Dinge im Umgang mit der Presse aufgefallen, die meiner Meinung nach, den Autisten mehr schaden als nutzen.
Ich weiß, dass ich mir mit den folgenden Zeilen nicht nur Freunde mache. Trotzdem bin ich der Meinung, dass es mal gesagt werden muss.

Mir ist aufgefallen, dass der Ton im Umgang mit der Presse, in letzter Zeit immer agressiver wird. Teilweise kann ich das zwar nachvollziehen, aber wie so oft im Leben, der Ton macht die Musik.

So las ich vor einigen Tagen unter dem Artikel eines Journalisten, einen Kommentar mit dem folgenden Wortlaut (ungefähr aus dem Gedächtnis):

Der Journalist solle doch gefälligst mal seine Hausaufgaben machen, Autisten hätten keine geistige Behinderung und sie wären auch nicht minder-Intelligent. Im Gegenteil, der durchschnittliche IQ eines Autisten läge bei 100 oder oft auch höher.

Abgesehen davon, dass so etwas in meinen Augen ein sehr unhöfliches Verhalten ist, ist diese Aussage in mehreren Punkten falsch.
Zum einen ist der IQ bei Autisten sehr breit gestreut. Bei Menschen mit schwerem Kanner ist er oft sogar unterdurchschnittlich. Ich kenne selbst mehrere junge Menschen mit schwerem Kanner-Autismus, die klar einen IQ von unter 70 aufweisen. Sicher kann man das nicht pauschalisieren. Aber es pauschal abzustreiten ist genauso falsch.

Ähnlich sehe ich das mit der geistigen Behinderung.
Ich verstehe zwar, dass dieser Begriff in unseren Breiten ein wenig negativ vorbelastet ist, aber...:

Autismus ist nun einmal eine Störung im Gehirn, die (den einen mehr, den anderen weniger) im Alltag stört, bzw. eben behindert. Somit ist es per Wortdefinition eine geistige Behinderung.
Warum also der Presse jedesmal bei einem solchen Begriff, direkt die Zähne zeigen und das Kriegsbeil ausgraben?
Sicher, es gibt bestimmt Autisten, die ihre Behinderung nicht stört, oder die sie nicht als solche wahrnehmen.
Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass meine eigene Frau sich durch die Einschränkungen im Alltag, durchaus "behindert" fühlt. Behindert im wörtlichen Sinne.

Ein weiteres Beispiel, das mir aufgefallen ist, war das folgende:

"Verdammt. Wie oft muß man den Medien noch sagen, dass Autisten nicht an oder unter Autismus leiden?? Warum ist die Lernfähigkeit so klein?"

Also, ich kann natürlich ebenso wenig für alle Autisten sprechen, wie diese Userin.
Ich freue mich ehrlich für sie, wenn sie nicht darunter leidet. Ganz ehrlich.
ich weiß aber auch, dass einige Autisten die ich persönlich kenne, sehr wohl massiv unter ihrem Autismus leiden.
Ich finde, dass ist auch selbstverständlich. Würde Autismus (ich vermeide jetzt mal bewusst das Wort Krankheit oder Behinderung) generell keinen Leidensdruck erzeugen, hätten manche "Experten" mit ihren Aussagen ja recht, dass Autisten keinerlei Förderung bedürfen. Wenn keine Nachteile da sind, die einen Leidensdruck erzeugen, wozu benötigt man dann Hilfe?
Ich weiß, dass ein 19 jähriger Junge, der auf Grund seines schweren Kanner-Autismus das Sonnenlicht nicht verträgt und nicht sprechen kann, sehr wohl massiv darunter leidet, dass er seinem Vater nicht mitteilen kann, dass er eine Sonnenbrille benötigt, damit die Augen nicht mehr schmerzen.
Und ich weiß auch, dass meine Frau z.b. massiv darunter leidet, dass sie auf Grund ihres Asperger Syndroms oft die Gespräche in einer geselligen Runde mit Freunden nicht versteht und sich deshalb ausgegrenzt fühlt, obwohl das nicht die Absicht der Runde ist.
Warum also diese ebenfalls falschen Pauschalisierungen und Anfeindungen? Das ist kein Stück konstruktiver, als das, was wir der Presse vorwerfen.

Vor allem ist mir aufgefallen, dass z.b. auf der einen Seite abgestritten wird, dass Autisten eine geistige Behinderung haben, auf der anderen Seite beschweren sich genau die gleichen Leute, dass ihre Kinder z.b. in der Schule keinen Zugang zu Förderungen für geistig Behinderte bekommen. Ja, was denn nun?
Hier wird ganz offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen.
Man kann sich doch nicht nur die Rosinen rauspicken und sich die Welt jedesmal so drehen, wie es einem gefällt.

Ganz abgesehen davon, dass diese Leute den Autisten in Deutschland einen echten Bärendienst erweisen.
Statt in einen konstruktiven Dialog zu treten, wird die Presse gnadenlos attackiert und niedergemacht. Für jeden noch so kleinen Fehler. In Fällen, wie dem Spiegel Artikel von Frau Briseno über den Amoklauf in Newtown, kann ich das auch verstehen. Hier wurde sehr zum Nachteil der Autisten pauschalisiert, mit einer gefährlichen Außenwirkung. Da ist es natürlich völlig ok, dass man das nicht unkommentiert stehen lässt.

Man sollte jedoch bedenken, dass man, gerade weil die Presse das Bild des Autisten in der Öffentlichkeit sehr stark prägt, ein gutes Verhältnis zur Presse wahren sollte. Was bringt es, die Vertreter der Medien zu verprellen, bis sie gar keine Lust mehr haben, über Autismus zu berichten? Oder bis sie den Eindruck bekommen, mit diesen, in ihren Augen, "sturen" Autisten nicht reden zu können. Damit ist niemandem geholfen. Man sollte vielleicht mal ein wenig die Wortklaubereien hinten anstellen und erstmal für eine generelle Aufklärung und Medienpräsenz sorgen.
Das öffentliche Bild wird sich nicht innerhalb von wenigen Monaten oder Jahren ändern. Ein solches Vorhaben braucht viel Geduld und noch mehr Zeit.

Und sind wir mal ehrlich. Wer kann den Journalisten einen Vorwurf aus ihrer Unwissenheit machen, wenn selbst viele Ärzte eine falsche Vorstellung von Autismus haben? Oder gar Leute vom Dachverband widersinnige Informationen rausgeben. Wie oft bekomme ich zu hören, dass Betroffene mit der Arbeit des Dachverbandes völlig unzufrieden sind und sich schlecht bis gar nicht vertreten fühlen? Wir, damit meine ich Betroffene und Angehörige, beschweren uns über die schlechte Arbeit der Presse. Aber woher soll die Presse die "richtigen" Informationen bekommen, wenn selbst "offizielle" Stellen oft hahnebüchenen Unsinn verbeiten, der nicht auf wissenschaftlichen Studien basiert, sondern der rein subjektiven Wahrnehmung entspringt?

Nehmen wir ein Beispiel:
Vor kurzem hörte ich von einem geplanten Vortrag, in dem behauptet werden soll, Autismus wäre inzwischen eine Modediagnose.
Woher stammt diese Behauptung? Gibt es Belege dafür? Gibt es irgendwelche belastbaren Zahlen dazu?
Meines Wissens nach nicht. Nur weil inzwischen mehr Autisten diagnostiziert werden, bedeutet das nicht, dass es sich um eine "Modediagnose" handelt. Wenn es z.b. durch einen inzwischen verbesserten Wissensstand bei Medizinern häufiger erkannt wird, kann man wohl kaum von einer Modediagnose sprechen.
Dies ist nur ein Beispiel, woran die Häufung liegen könnte. Es gibt sicherlich noch viele andere mögliche Gründe.
Sich aber als "Fachmann" hinzustellen und ohne entsprechende Studien zu behaupten, Autismus verkäme zu einer Modediagnose, ist mindestens ebenso gefährlich, wie falsche Presseberichte.

Anstatt also auf die Presse einzudreschen, sollten wir lieber höflich und beharrlich mit Vorurteilen aufräumen. Und wir sollten dabei bedenken, dass Autismus eben extrem facettenreich ist. Wir sollten nicht den gleichen Fehler machen wie die Presse. Wir Menschen neigen nunmal zur Pauschalisierung. Wir leben alle in unseren eigenen kleinen Realitäts-Filterblase. Wir neigen dazu, dass, was wir bei uns selbst und in unserem näheren Umfeld wahrnehmen, als den allgemeingültigen Standard zu begreifen.
Oftmals ist dies aber leider nicht so.
Nur weil man selbst sich durch den Autismus nicht behindert fühlt, heißt das nicht, dass es anderen ebenso ergeht.
Nur weil man selbst einen normalen, oder vielleicht sogar einen überdurchschnittlichen IQ hat, gilt das nicht für alle.

Wir, also Betroffene und Angehörige, fordern oftmals mehr Toleranz ein. Toleranz ist aber ein Gut, dass nur funktioniert, wenn es von beiden Seiten gewährt wird. Vielleicht sollten wir uns einfach mal ein bischen zurücknehmen und selbst auch mehr von der Toleranz zeigen, die wir für uns selbst fordern.
Ich nehme mich selbst dabei nicht aus. Ich habe mich auch schon ertappt, wie ich aus Ärger über wiederholt falsche Behauptungen an die Decke gegangen bin und daraufhin selbst mit unpassenden Kommentaren reagiert habe.
Das passiert jedem mal. Wichtig ist in meinen Augen aber, dass der Grundton, den wir als Ganzes an den Tag legen, freundlich und versöhnlich bleibt. Das Ziel ist doch, ein besseres und umfassenderes Bild von Autismus in der Öffentlichkeit zu prägen, damit den Betroffenen und auch den Angehörigen in Zukunft viel Ärger und Leid erspart bleiben.

Ps.: Nur, damit es keine Mißverständnisse gibt. Ich will mit diesem Post niemanden persönlich angreifen. Ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn einem bei dem Thema ab und an mal die Hutschnur hochgeht. Ich will nur aufzeigen, was mir in der Kommunikation mit der Presse aufgefallen ist.

In diesem Sinne, einen lieben Gruß

Frank

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